Rügen ein preußisches Land
Schweden hatte sich endlich von der Unmöglichkeit überzeugt,
seine deutschen Besitzungen schützen zu können. Nach der Besiegung
Napoleons trat es im Kieler Frieden 1814 Rügen und Vorpommern gegen
Norwegen an Dänemark ab. Aber wie Dänemark nun schon so oft um
den Besitz dieses ewigen Zankapfels gekommen war, so sollte ihm auch jetzt
wieder und zwar nun für immer die Hoffnung vernichtet werden, jene
Länder noch mal wieder sein zu nennen, die in großer Zeit sein
König Waldemar I. und dessen gewaltiger Kanzler Absalon dem Dänenreiche
unterworfen hatten. Erstlich nämlich widersetzte sich Norwegen der
schwedischen Einverleibung; deswegen unterblieb von Seite Schwedens, solange
es diese Entschädigung noch nicht besaß, die faktische Abtretung
Rügens und Vorpommerns oder nie der Zeitpunkt da sei, das so lange
und hartnäckig ihm vorenthaltene Erbe anzutreten; nicht war Preußen
mehr gesonnen, sich hier seine alten Rechtsansprüche wieder schmälern
zu lassen. So mußte denn Dänemark sich mit Preußen auf
dem Wiener Kongreß, wo ja die Regulierung aller Grenzfragen vorgenommen
wurde, einigen. Es verzichtete zu gunsten des Königs von Preußen
auf Rügen und Vorpommern und nahm als Entschädigung das Herzogtum
Lauenburg und 2,5 Millionen Thaler. (4. Juni 1815). Drei Tage danach kam
auch zwischen Schweden und Preußen ein abschließender Traktat
zustande, nach welchem Preußen Rügen und Vorpommern erhielt
gegen eine Summe von 3,5 Millionen Thaler, wofür Preußen sämmtliche
Domänen, die Schweden an seine Offiziere oder Beamten gegeben hatte,
zurückempfing. Der Tag der Unterzeichnung dieses Traktaktes, der 7.
Juni 1815, ist somit als der Moment anzugehen, in welchem Rügen preußisch
wurde. Die Ausführung der Übergabe wurde durch den wieder beginnenden
Kampf gegen Napoleon noch aufgehalten. Am 15. September erließ König
Friedrich Wilhelm III. aus dem eroberten Paris das Patent, kraft dessen
er Besitz ergriff von Vorpommern und Rügen und seinen Titeln den eines
Fürsten von Rügen zulegte. Und am 1. Oktober entband der schwedische
König Karl XIII. die Einwohner des schwedischen Pommerns und Rügens
des ihm geleisteten Eides der Treue. Damit war das letzte Band gelöst,
das unsere Insel bisher an Schweden geknüpft hatte. In diesem Entlassungspatent
spricht der König es offen aus, woran das ganze Verhältnis Rügens
und Pommerns zu Schweden krankte: "Die Erfahrung der letzten Jahre hat
hinreichend bewiesen, daß Schweden, durch Verhältnisse des Lokals,
der Gesetze und seiner Mittel von Euch (Pommern und Rüganern) abgesondert,
Euer Gebiet nicht unverletzt behaupten konnte, sobald politische Umstände
dasselbe bedrohten". Nicht ohne Wehmut wird dann in dem Patent zurückgeblickt
auf die innige Verschmelzung Rügens und Pommerns mit dem schwedischen
Reich, wie sie die lange Zeit des Besitzes, 160 Jahre, naturgemäß
mit sich bringen mußte. Rühmend erkennt der schwedische König
die echt pommersche Treue an, mit der Rügen und Pommern an ihm gehangen;
"dieselbe Liebe, dieselbe Unabhängigkeit, die Ihr Uns und Unsern Vorfahren
erzeigt habt", heißt es weiter, "weihet Eurem neuen Beherrscher".
Dieser Appell an die Treue auch für das neue Herrscherhaus fand vollen
Widerklang in den Herzen der Bevölkerung, und bei dem Huldigungsakt
am 26. Oktober 1815 in der Nikolaikirche zu Stralsund gab ihm der Sprecher
der Ritterschaft Graf von Bohlen namens der Stände schönen Ausdruck
in seinen Worten; "Unser unablässiges Bestreben wird es von nun an
sein, Ihm (dem König von Preußen) unsere unerschütterliche
Treue zutage zu legen und zu beweisen, daß wir auch unter einer auswärtigen
Regierung nicht verlernt haben, Deutsche zu sein". So war denn endlich
nach langem, verderblichen Streit die Zeit geendet, in der Rügen als
Spielball der Parteien von Freund wie Feind gleich schwer heimgesucht war.
Endlich hatte den Besitz der Insel der Staat angetreten, dem sie seit fast
drei Jahrhunderten rechtlich gehörte, der Staat, der inzwischen erstarkt
zu einer Großmacht, jetzt auch imstande war, Rügen wirklich
zu schützen und vor der Wiederkehr jener traurigen Zeiten dauernd
zu bewahren. Und weil Kultur und Sprache Preußens die Rügens
ist, hat sich der Übergang leicht vollzogen; ließ sich auch
zu Anfang eine gewisse Wehmut nicht wegleugnen, mit der man auf die schwedische
Zeit zurückblickte, so zeigte doch Rügen bald, daß es unter
dem fremden Zepter ein deutsches Herz sich bewahrt hatte. Wie hätte
es anders einen Mann hervorbringen können, wie den Dichter und Vorkämpfer
der Freiheitskriege Ernst Moritz Arndt, der 1769 auf dem Gute Groß-Schoritz
geboren wurde und seine Jugend hier verlebte! Für Rügen begann
mit dem Jahre 1815 wieder eine neue Epoche, die der friedlichen Entwicklung
zu nie geahnter Blüte. Wieder, wie einst in grauer Vergangenheit zu
Beginn einer neuen Zeit, lebte auf der Insel ein genialer Mann, ein Nachkomme
jenes edlen und tüchtigen rügenschen Fürstenhauses, der
Fürst Malte von Putbus. Er war es, der durch seine großartigen
Schöpfungen in und um Putbus den Keim gelegt hat zu dem blühenden
Badeleben, das jetzt an Rügens Küsten herrscht. Und Preußens
Könige waren es dann, die zuerst den Naturschönheiten der Insel
bewundernd sich hingaben, historische Punkte der Insel durch Denkmäler
verherrlichten und durch dies alles mächtige Antriebe gaben zu dem
großen Aufschwung, den die Rügenschen Bäder in diesem Jahrhundert
nehmen sollten. Fürst Malte von Putbus, der 1807 vom schwedischen
König Gustav IV. in den Fürstenstand erhoben und von Friedrich
Wilhelm III. in dieser Würde bestätigt wurde, legte den Grund
zu dem Städtchen Putbus. Seine Schöpfung ist auch der herrliche
und auf Rügen einzig dastehende Park, ferner das großartige
Jagdschloss bei Binz, sowie die Anlage des ersten Seebades auf Rügen.
Dies wurde 1816 bei dem Dorfe Neuendorf am putbusser Strand eingerichtet
und bekam später den Namen Lauterbach. Freilich im Verhältnis
zu den Anordnungen der Jetztzeit war alles noch sehr gering und einfach.
Für die Herren waren am Strande Zelte aufgeschlagen, die als Badezellen
dienten; von hier aus ging man frisch weg ins Wasser. Den Damen war es
bequemer gemacht. Für sie gab es vier Badekarren, die ins Wasser geschoben
wurden. Auch war für warme Bäder in Putbus selbst und in Lauterbach
gesorgt. Großartiger wurde die ganze Einrichtung des Badeortes dann
mit der Erbauung des Friedrich Wilhelmsbades. 1818 am Geburtstage des preußischen
Königs wurde der Grundstein zu diesem herrlichen Gebäude gelegt,
das noch jetzt besonders aus der Ferne mit seiner hohen Säulenhalle
und dem weißen Anstrich sich so prächtig ausnimmt gegen den
dahinter liegenden dunkelgrünen Buchenwald. Putbus war das erste und
blieb lange Zeit das einzige Seebad auf Rügen. Seit den fünfziger
Jahren fanden sich auch regelmäßig einzelne Gäste in Saßnitz
und Binz ein. Die Fischer in diesen friedlich-einsamen Dörfern waren
auf solchen Besuch freilich nicht eingerichtet und die vorhandenen alt-ehrwürdigen
"Krüge" ebenso wenig; es ging alles noch sehr primitiv her. Aber den
Mangel an Luxus ersetzte die in ihrer Majestät noch vollständig
jungfräuliche Natur reichlich. Bald entstanden Logirhäuser und
Gasthöfe mit dem steigenden Fremdenverkehr, und seit der Eröffnung
der Dampfschiffahrt von Stralsund und Greifswald und gar erst seit Erbauung
der Rügenbahn 1883, ist dieser ins Fabelhafte gestiegen. Wer hätte
es zu Anfang des Jahrhunderts geahnt, daß im Jahre des Kaiserbesuches
1893 Saßnitz und Crampas allein 20 000 Fremde sehen würden!
Diesen Gang der friedlichen Entwicklung konnten auch die Kriege von 1864
und 1870 nicht stören, obgleich Rügens Küsten in ersteren
von den Dänen, in letzterem mit einer französischen Landung bedroht
wurden. Die junge preußische Marine bestand rühmlich am 17.
März 1864 bei Arkona die Feuerprobe und verhinderte den dänischen
Besuch auf der Insel. Und 1870 vermochte selbst ein französisches
Geschwader von 4 großen Panzerschiffe und einem Aviso nichts gegen
die kecken Nußschalen der Preußen. Der Kapitän Graf von
Walderfee befehligte eine preußische Flottenabteilung von einem Aviso
und 3 Kanonenböten. Mit seiner blitzschnellen "Grille" machte er in
der Nähe Rügens Jagd auf die Franzosen, während die 3 Kanonenböte
"Blitz", "Drache" und "Salamander" in der Bucht zwischen Hiddensöe
und Wittow lagen. Am 17. August griff Walderfee auf der Höhe von Hiddensöe
kühn das französische Geschwader an, die 3 Kanonenböte kamen
ihm zu Hülfe und brachten den Franzosen durch wohlgezieltes Feuer
vielfachen Schaden bei, bis sie sich endlich in die seichte Bucht bei Hiddensöe
zurückzogen, ohne selbst irgendwelchen Schaden genommen zu haben.
Eine Landung aber wagten die Franzosen nicht, überall schreckten sie
die kleinen Küstenwachen, die mit wahrer Sehnsucht auf einen Landungsversuch
und einen warmen Empfang der Franzosen lauerten, von diesem Vorhaben zurück.
Preußen hatte sich stark genug gezeigt, die Insel schützen zu
können, sein Feind hatte seinen Strand wieder betreten. Und als dann
endlich am 18. Januar 1871 alle deutschen Stämme vom Fels zum Meer
zu einem starken Bunde sich die Hand gereicht hatten, und das neue deutsche
Reich wiedererstand, war auch für Rügen der Tag gekommen, an
dem es für sein treues Festhalten an der deutschen Nationalität,
für sein Jahrhunderte langes Ausharren trotz Drangsal und Kriegsnot
und fremder Herren den schönsten Lohn empfing, ein wirklich deutsches
Eiland sich nennen zu können. Das möge es bleiben für alle
Zeit! Wir sind am Schlusse der Geschichte Rügens angelangt. Mehr denn
acht Jahrhunderte haben wir vor unserem Auge Revue passieren lassen, von
jener Zeit an, wo die Morgendämmerung der ersten schwachen Kunde von
der Insel und ihren Bewohnern am Horizont der Geschichte ausging bis in
die Tage der lichten Gegenwart. Das Bild, das sich uns bietet, spielt in
den abwechslungsreichsten Farben, und lebensvoll genug ist es. Wir haben
die alten Rüganer in ihrem Wirken und Kämpfen, in ihrer Kultur
und Religion belauscht, haben den Sturz des Alten und das Aufblühen
neuen Lebens aus den Ruinen beobachtet. Neben den Friedensschöpfungen
einer neuen Kultur haben wir dann wilde Stürme mit zerstörender
Gewalt über die Insel brausen sehen, bis Rügen endlich in den
sichern Port friedlicher Entwicklung einlief. Und das alles, das
bunte Wogen der Vergangenheit wird voll Leben und Wirklichkeit vor unserer
Phantasie neu aufstehen, wenn wir heutigen Tages an den historischen Punkten
der Insel weilen und die Natur, die noch unveränderte Szenerie jener
Ereignisse, in ihrer Erhabenheit auf uns wirken lassen. |